New Work – New Rules?

Jede Revolution hat ein Gesicht – New Work sogar viele: Zum Beispiel Activity Based Working, Crowdworking und Agiles Arbeiten.

Zweifellos haben Internet, Digitalisierung und gesellschaftliche Veränderungen den hierarchischen Leistungssystemen der letzten Jahrzehnte immer mehr Grenzen gesetzt. Für die Weiterentwicklung braucht es neue Ansätze wie den der Kreativökonomie von New Work.

Liberté, Égalité... Mobilité?


Viele Schreibtische sind schon weg, selbst in Unternehmen mit eher konservativem Ruf sieht es aus wie in einem Start-up aus dem Silicon Valley und statt Geschäftsführern oder Abteilungsleitern bestimmen immer mehr Scrum-Master das Tagesgeschäft. Keine geringere als die nächste (Arbeits-)Revolution rollt da heran: New Work. Das sozialökonomische Gedankenwerk des Philosophen Frithjof Bergmann hat großes Umschwungspotenzial: Fast wie im Frankreich des 18. Jahrhunderts negiert es Hierarchien und steht für maximale Gestaltungsfreiheit. Im Gegenzug verspricht New Work unbegrenzte kreative Potenziale, die sich ganz im Sinne des
Arbeitgebers entfalten sollen.

Unternehmen stehen auf zwei Positionen unter starkem Veränderungsdruck: Einerseits gegenüber ihren Kunden, die immer schneller noch individuellere Produkte verlangen. Andererseits gegenüber Mitarbeitern oder Job-Kandidaten, die nicht mehr Anweisung für Anweisung erfüllen möchten, sondern sich frei in ihrem Arbeitsumfeld ausleben wollen. Um beiden gerecht zu werden, müssen Unternehmen ihre Strukturen komplett umbauen.

Allerdings gestaltet sich das schwierig ohne Bedienungsanleitung oder Vorbilder aus der ersten Konzernreihe. Mit vielen Global Playern gibt es die Vorbilder längst und mit New Work, dem Agilen Manifest und dutzenden Scrum Frameworks liegen auch schon Manuals bereit. Mit diesen Werkzeugen könnten reaktionsschnellere und flexiblere Unternehmen entstehen, in denen zufriedenere und produktivere Menschen arbeiten. Attraktivität ist das Stichwort — Attraktivität für Kunden in den Märkten und Attraktivität für die besten Köpfe im Recruiting. Wie kann das praktisch aussehen?


New Work konkret: Activity Based Working (ABW)


Der Niederländer Erik Veldhoen machte sich Anfang der 90er-Jahre daran, den passenden Workspace zu den Grundideen von New Work zu entwickeln. Dabei entsorgte er kleine Büroräume und verschachtelte Abteilungen. An ihre Stelle setzte er eine weitläufige Office-Landschaft, in der sich Mitarbeiter passend zur neuen Handlungsfreiheit genauso ungezwungen bewegen können. Sie erledigen ihre Aufgaben an den Plätzen, die sich am besten dafür eignen und die gerade frei sind. Im ganzen Büro finden sie alles, was sie zum Arbeiten brauchen und gestalten sich daraus temporäre Arbeitsplätze. Mitarbeiter müssen sich nun nicht mehr in das Arbeitsumfeld fügen. Es entsteht dynamisch um sie herum. Genauso dynamisch kann der Arbeitsplatz durch das ganze Unternehmen wandern. So lernen sich die Mitarbeiter besser kennen und arbeiten öfters zusammen. Sie bilden spontan kleine bis große Teams, die sich mit ihren individuellen Fähigkeiten zu kompetenten Schwärmen ergänzen. Die Zusammenarbeit intensiviert sich, lockert sich andererseits auf und durchbricht alte, mitunter hemmende Strukturen.

So sehen die passenden Büroflächen dazu aus: Statt spartanischer Schreibtische stehen immer mehr gemütliche Lounge-Möbel oder Sitzsäcke im Office. Die Kaffeebar ist Schauplatz spontaner Meetings, Terrassen, Balkone und Grünflächen verwandeln sich zu Outdoor Workspaces oder Plätzen für Entspannung und Kommunikation. Mittendrin bleibt immer noch Platz für den Kickertisch, eine Tischtennisplatte oder andere beliebte Freizeit-Accessoires. Dazu wedeln ein paar Bürohunde freudig mit dem Schwanz, wenn sie Frauchen oder Herrchen den ganzen Tag begleiten können. Solche Details trennen Activity Based Working klar vom einfachen Open Office ab. Denn für den Produktivitätsgewinn reicht es nicht, einfach nur ein Großraumbüro zu eröffnen. Entscheidend ist die aktivitätszentrierte und interaktionsfördernde Gestaltung plus Wellness-Faktor.

So der legendäre Marketer Jay Chiat — Erfinder der Apple-1984-Kampagne. Er hatte Activity Based Working Mitte der 90er-Jahre in seiner Agentur eingeführt. Trotz des prominenten Testimonials blieb ABW noch für einige Jahre eine Randerscheinung in der Business-Welt. Erst als im neuen Jahrtausend die Big Techs einstiegen, brach der Bann. Für die Millennials, die nun verstärkt auf den Arbeitsmarkt drängten, war das Konzept wie gemacht, erfüllte es doch alle Wünsche nach freien, unkonventionellen Arbeitsmodellen: eben New Work.

New Work für jedermann: Crowdworking


Werte aus dem New-Work-Konzept wie Selbstständigkeit und das high tech self-providing kennzeichnen auch die neue Arbeitswelt der Crowdworker. Sie zählen nicht mehr als Unternehmensmitarbeiter im klassischen Sinne. Für einzelne Projekte oder bestimmte regelmäßige Aufgaben werden sie direkt oder über allgemeine Ausschreibungen kurzfristig verpflichtet. Abgesehen davon besitzen Crowdworker keine Verbindung zum Unternehmen, könnten sogar zeitgleich ähnliche Aufträge für Wettbewerber übernehmen. Dabei arbeiten sie zumeist allein. Teams oder direkte Zusammenarbeit sind eher untypisch.

Typisch ist hingegen der Rahmen des Crowdworkings: Unternehmen lagern vorwiegend kleinere, einfache Arbeiten aus, für die der Einsatz fester Mitarbeiter zu umständlich oder zu teuer wäre. Große Supermarktketten lassen zum Beispiel prüfen, ob in einzelnen Filialen die Regale korrekt befüllt sind oder Produktplatzierungen stimmen. Preisbeobachtungen bei der Konkurrenz zählen ebenfalls zu gängigen Crowdworking-Tätigkeiten. Übernehmen darf sie jeder, der ein Smartphone mit Kamera und Internetzugang besitzt, denn darüber werden die Arbeiten oft dokumentiert. Verschiedene Plattformen sammeln die Crowdworker, vermitteln die Unternehmensaufträge und managen schließlich die Bezahlung.

Besondere Qualifikationen braucht es nur selten für diese Art der Arbeit. Die Briefings der Auftraggeber liefern das notwendige Wissen zumeist gleich mit. Dennoch lassen sich auch anspruchsvollere Aufgaben wie Software-Tests oder Content-Erstellung für Internetseiten an passende Crowdworker übertragen. Microsoft nutzt die Crowd beispielsweise zum Testen neuer Software.

Der Vorteil für Unternehmen: Die eigenen Personalkapazitäten werden nicht belastet, die Budgetierung bleibt im Rahmen und es entstehen keine weiteren Verpflichtungen gegenüber den Crowdworkern. Zudem bietet dieses Arbeitskonzept einen schnellen, flexiblen Zugriff auf große Arbeitskräfte-Pools. Auf der anderen Seite profitieren Crowdworker von zusätzlichen Verdienstmöglichkeiten, einem praktisch dauerhaft vorhandenen Arbeitsangebot und neuen, unabhängigen Chancen für die Arbeits- und Lebensgestaltung.

„Besser“ schreibt man jetzt „agil“


New Work und ABW vertragen keine alten Unternehmensstrukturen oder -hierarchien und konventionelles Top-down Management. Die neuen Freiheiten verlangen nach anderen Arbeitsmodellen: Agiles Arbeiten zeigt eine mögliche Umsetzung.

Es überträgt die Flexibilität der Arbeitsplätze aus dem Activity Based Working auf die eigentliche Arbeit. Verantwortung und Entscheidungen wandern vermehrt vom Management zu Mitarbeitern und Teams. Aus Top-down wird Bottom-up, denn die Basis kennt Probleme und Möglichkeiten oft besser als die Unternehmensführung. Von dort kommen nun weniger Anweisungen, dafür mehr Motivation für die Mitarbeiter, sich aus ihren Komfortzonen herauszubewegen und sich voll in das neue Arbeitsmodell einzubringen. Führungskräfte verantworten jetzt weniger das Tagesgeschäft. Dies obliegt einzelnen Teams, genau wie die Hauptkontrolle der Arbeitsergebnisse. Dazu baut die Unternehmensführung nur Leitplanken auf und setzt übergeordnete Unternehmensziele.


Agil arbeiten, schneller reagieren

Agiles Arbeiten erhöht die Unternehmensflexibilität nachhaltig. Kunden und Märkte verlangen schon lange nach dieser Flexibilität und nach schnelleren Reaktionen auf ihre Anforderungen. Ganze Frameworks wie Scrum oder Kanban und unzählige Variationen davon unterstützen bei der Anwendung agiler Arbeitsmethoden. Sie stammen nahezu alle aus dem IT-Bereich, wo das Agile Arbeiten spätestens seit der Jahrtausendwende zum Standard zählt.

Die Methodik hat inzwischen auch andere Branchen erobert: Prominente Großkonzerne wie Adidas arbeiten seit Jahren agil, um ihre Geschäftsmodelle auf maximale Kundenorientierung und hohe Reaktionsgeschwindigkeiten zu trimmen. Zeitgleich bauen sie die passenden Büros, etwa die Adidas-Arena: ein Showroom für Activity Based Working und die neue Unternehmenswelt mit New Work.