Quo Vadis Digitalisierung?

PropTech & ConTech 2020 — Eine Zwischenbilanz

Sie waren das „Next Big Thing“ für Immobilien, doch dann wurde es ruhig um Prop- und ConTechs. Sind sie alle wieder verschwunden oder gehören ihre Innovationen einfach schon zur neuen Normalität? Wie es in der Branche heute mit der Digitalisierung aussieht.

Rund fünf Jahre ist es her, da fegte ein Begriff wie ein Lauffeuer durch die Welt der Immobilienwirtschaft: PropTech. Er versprach nicht weniger als die digitale Revolution des Immobiliensektors und wurde oft gehandelt wie der größte Fortschritt seit Erfindung des Stahlbetons. Neue, digitale Geschäftsmodelle und Möglichkeiten, Prozessoptimierungen und natürlich märchenhafte Ertragschancen sollten mit PropTech Realität werden. Wer mit einer passenden Idee zu Planung und Entwicklung, Finanzierung, Analyse, Vermittlung oder Verwaltung herauskam und ein Start-up auf die Beine stellte, hatte einen einfachen Einstieg im Rampenlicht. Bald folgten erste ConTechs, die sich anders als die Property-Tech-Unternehmen ganz konkret um Bau bzw. Construction kümmern wollten, um mit technischen Lösungen und digitalen Prozessen den Baubereich auf ein neues Niveau zu heben — schöne neue Immobilienwelt. Doch wer den Hype Cycle der US-Marktforscher Gartner kennt, ahnt jetzt
bereits, was folgte.


Der Zukunftsforscher Roy Amara beschrieb es 2006 einmal so:
„Wir neigen dazu, die kurzfristige Wirkung einer Technologie zu überschätzen und die langfristige Wirkung zu unterschätzen.“

Jackie Fenn von Gartner baute etwas später auf „Amaras Law“ den Hype-Zyklus auf. In dieser Kurve lässt eine neue technologische Innovation Aufmerksamkeit und Erwartun- gen schnell steil nach oben schießen — weit über jedes realistische Maß hinaus. Selbst funktionierende Technologie kann diese Erwartungen nicht erfüllen und als Konsequenz bricht die Aufmerksamkeit genauso rapide wieder ein. Natürlich verschwindet die neue Technologie deswegen nicht. Sie wird einfach nur realistischer bewertet und pragmatischer behandelt. Aus diesem „Pfad der Erleuchtung“, wie Fenn es nannte, entsteht dann ein produktives Niveau für die Technologie mit vielen praktischen Anwendungen.

image8, Quelle: Hype Cycle von Gartner


Die PropTech-Entwicklung zeigt eine recht genaue Kopie dieses Zyklus’: enorme Erwartungen mit dem Aufkommen des Begriffs, die sich allein schon deswegen nicht schnell
erfüllen konnten, weil ein technologischer Umbruch immer seine Zeit braucht. Im täglichen Immobiliengeschäft können und wollen sich die meisten nicht mit Lösungen
und Möglichkeiten beschäftigen, die erst in Ansätzen funktionieren. Also wurde es stiller um PropTech. Im Hintergrund glaubten die Pioniere jedoch weiter an ihre Ideen und viele Investoren unterstützten sie. So konnten ConTechs und PropTechs in den letzten Jahren in Ruhe wachsen und mehr Anwendungen zur Marktreife weiterentwickeln. Die fertigen Lösungen sind heute viel praktikabler und mehr konkrete Beispiele für ihren Einsatz überzeugen immer neue Nutzer.


So sieht es bei den Tekkies heute aus

Zum Jahresanfang 2020 machte der PropTech-Bereich einen guten Eindruck. Zwar gab es vereinzelt Marktaustritte, aber mehr neue Unternehmen folgten nach und insgesamt konnte die Branche mit etwas mehr als 200 Millionen Euro das bisher höchste Finanzierungsvolumen überhaupt für neue Projekte und Expansion verbuchen. Natürlich kam dann die Corona-Pandemie — wie ihre wirtschaftlichen Folgen die PropTechs treffen werden, lässt sich im Sommer 2020 noch nicht umfassend bewerten. Ein Ende des zarten, aber kontinuierlichen Wachstums der letzten Jahre erscheint jedoch wahrscheinlich. Möglicherweise werden einige PropTechs verschwinden oder übernommen werden, während die Finanzdecke vieler Unternehmen allgemein dünner wird. Der noch junge Tech-Bereich geht durch seine erste größere Konsolidierung.


Auf dem Bau — und damit im Bereich der ConTechs — wird ebenso langsam ein virusbedingter Einbruch sichtbar. Mit Beginn der Corona-Krise waren die meisten Bauunternehmen noch bestens damit beschäftigt, alt Aufträge abzuarbeiten. Im späten Frühjahr wurden jedoch die ersten Krisenanzeichen sichtbar. Neue Aufträge im Mai lagen schon um mehr als 8 % unter dem Vorjahresniveau. Das Auftragsvolumen sank dabei sogar mit mehr als 10 % noch deutlicher. Auch hier ist eine Fortsetzung des negativen Trends mindestens für den Rest des Jahres zu befürchten. Das trifft auch die ConTechs, obwohl ihre digitalen Lösungen den Bauunternehmen durchaus Kosteneinsparungen dank erheblicher Effizienzsteigerungen verschaffen, welche die Umsatzrückgänge in Teilen kompensieren können.

Leuchttürme

... Sie sind Sturm gewohnt und weisen trotzdem immer weiter den Weg. Das gilt auch für herausragende Unternehmen in verschiedenen Wirtschaftsbranchen. PropTech ist darunter eine neue Branche, hat aber dennoch einige Unternehmen oder Anwendungen hervorgebracht, die das Potenzial besitzen, die aktuelle Krise gut zu überstehen und als Rückgrat die ganze Branche zu stützen.

„Die erste große PropTech-Welle liegt mittlerweile gute fünf Jahre zurück. Einige Unternehmen aus dieser Gruppe konnten mittlerweile den Beweis antreten, dass Ihre Produkte und Geschäftsmodelle den berühmten Product/Market-Fit erreicht haben.“
Peter Schindlmeier, Gründer und CEO der Immobilienverwaltungsplattform casavi

Die App Magicplan der kanadischen Entwickler von Technologies Sensopia Inc. ist ein gutes Beispiel für solche Leuchttürme. Diese App könnte Bauunternehmern, Handwerkern und Planern tatsächlich die ewige Arbeit mit Stift und Papier abgewöhnen. Mit Augmented Reality und der Kamera von Smartphone oder Tablet nimmt die Anwendung die Umgebung auf und erstellt daraus digitale Grundrisse. Das ist genauso einfach, wie ein Foto zu schießen, und dauert mit nur wenig Übung kaum eine Minute pro Raum. Schon per Hand erreicht die App 95-prozentige Präzision. In Verbindung mit einem Bluetooth-Lasermessgerät liegt die Trefferquote sogar bei 100 %. Anschließend errechnet die App den Materialbedarf verschiedener Bau- oder Renovierungsprojekte und erstellt aus hinterlegten Preis- und Material-Listen gleich ein fertiges Angebot.


Canvas von Occipital geht noch einen Schritt weiter. Die App erfasst ganze Räume oder Objekte dreidimensional. Mit einem iPad Pro der Modellgeneration 2020 ist dafür nicht einmal zusätzliche Hardware erforderlich. Alle Aufnahmen entstehen in Echtzeit und die fertigen 3D-Bilder erlauben es später, virtuell in die Räume zurückzukehren, um beispielsweise ein Aufmaß zu machen. Auf Wunsch verwandelt sie der Canvas-Service binnen zwei Werktagen auch in 3D-CAD-Modelle.

Alternativ nimmt der Tiefenscan von App und Sensor auch Möbelstücke auf, erstellt ein digitales Modell und liefert damit Vorlagen für einen Nachbau via 3D-Druck. Das digitale Aufmaß ist natürlich nur eine von vielen erfolgversprechenden PropTech-Lösungen, die mit ihrer hohen Zeitersparnis einen wirklichen (und dauerhaften) Mehrwert für die Branche bieten. Computergestützte Qualitätsbewertung verschiedener Grundrisslösungen im Vergleich, Entwürfe und Optimierung von Office-Layouts oder die digitale Anpassung ganzer Quartiere und Stadtviertel sind nur einige Beispiele aus Algorithmen, Big Data und Visualisierung, die dafür sorgen werden, dass mindestens die PropTech-Leuchttürme auch nach der Krise weiter einer aussichtsreichen Zukunft entgegengehen.

Digitalisierung setzt sich durch


Nicht jedes Immobilienunternehmen kann und muss selbst digitale Lösungen entwickeln. Viel wichtiger ist es, die vorhandenen Anwendungen und Innovationen zu nutzen und so die digitale Transformation zu vollziehen. Die Berater und Wirtschaftsprüfer von KPMG bescheinigen den Immobilienunternehmen in ihrer Global Proptech Survey 2019 einen überwiegend guten Weg bisher. Fast 60 % von ihnen arbeiten bereits im Rahmen einer Digitalstrategie. Der Rest nannte zuallererst Zweifel am konkreten Nutzen für sein anhaltendes Zögern. Die Corona-Krise mit ihrem zeitweisen Zwang, digital zu arbeiten, könnte viele davon jetzt zum Umdenken bewegt haben.

An anderer Stelle hinken die Unternehmen mit der Digitalisierung aber noch klar hinterher: bei der Datenstrategie. Nur 25 % verfolgen hier bereits konkrete Pläne. Dabei ist eine durchgängige Data Strategy unverzichtbare Basis und Rahmen, um aus Kunden-, Markt-,Projekt- oder Unternehmensdaten einen Mehrwert zu generieren. In Big Data, Data Analysis und dem Machine Learning liegt ein wichtiger Teil des Potenzials der Digitalisierung. Nur wer es voll ausschöpft, profitiert am Ende auch voll vom Wandel. Schließen sich nun noch diese letzten Lücken, ist die Immobilienbranche gut aufgestellt für die Zukunft und die nach der Corona-Krise.