Mit den Baustein-Systemen der Industrie 4.0 können Produkte und Prozesse kostengünstiger, schneller und individueller zugleich gestaltet werden. Jüngste Entwicklungen und Projekte zeigen: Auch für die aktuellen Herausfoderungen der deutschen Wohn- und Immobilienwirtschaft - Urbanisierung, steigende Mobilität, demografischer Wandel - hält das LEGO-Prinzip intelligente Lösungen bereit.
Der weltweite Erfolg von LEGO basiert auf der enormen Wertschöpfungskraft des Baukastensystems. Das populärste Beispiel ist die sogenannte Industrie 4.0 Darunter verstand man ursprünglich eine neue Art der Produktion auf Basis von Modularisierung und Flexibilisierung. Inzwischen weitet sich dieser Begriff auf immer komplexere Bereiche der digitalisierten Vernetzung von Maschinen und Abläufen aus - vom Internet of Things (IoT) bis hin zu den neuen Blockchain-Technologien. Als ein grundlegendes Erfolgsprinzip der Industrie 4.0 gilt aber nach wie vor die Effizienzsteigerung durch Baukastensysteme.
Da ist zum Beispiel der sogenannte „Modulare Querbaukasten“ (MQB), den VW 2013 als markenübergreifende neue Produktionsplattform einführte, um in den Segmenten Kleinwagen, Kompakt- und Mittelklasse international wettbewerbsfähig zu bleiben: Der MQB stellt Module und Bauteile zur Verfügung, aus deren „Superkompatibilität“ zahllose Variationsmöglichkeiten erwachsen. Somit erhöht sich die Flexibilität bei der Entwicklung neuer Fahrzeuge, so dass sich zum Beispiel Nischen schneller bedienen lassen.
Mit dem Modularen Querbaukasten haben beispielsweise Assistenzsysteme und technische Innovationen wie Müdigkeitserkennung, automatische Distanzkontrolle ACC oder Umfeldbeobachtungssystem Einzug in die Klasse der Kompakt- und Kleinwagen gehalten. Zudem wurde mit der neuen Plattform die Produktion durch die Verwendung baugleicher Module entscheidend vereinfacht und kostengünstiger gestaltet.
Seriell produzierbare Individualität
Unterm Strich lässt sich festhalten, dass mit der Flexibilisierung und Modularisierung von Bauteilen und Produktionsabläufen nicht nur Kosten gesenkt, sondern auch Fertigungszeiten reduziert werden können. „Seriell pro-duzierbare Individualität“ könnte man das Erfolgsrezept des LEGO-Prinzips nennen. Die Automobilbranche gilt im Zuge der Industrie 4.0-Revolution als sein Wegbereiter, aber auch in Anlagen- und Maschinenbau, Industrie und Logistik setzt man mittlerweile auf Modularität. Höchste Zeit, das LEGO-Prinzip auf sein Potenzial in der Wohnungswirtschaft zu untersuchen: Flexibilisierung und Modularisierung könnten sich auch hier als noch brach liegende Wertschöpfungsfaktoren von enormer Wirkkraft zeigen.
MODULARISIERUNGSKONZEPTE BRINGEN IN DER INDUSTRIE BIS ZU 40 PROZENT KÜRZERE PRODUKTEINFÜHRUNGSZEITEN, 30 PROZENTENERGIEERSPARNIS, 20 PROZENT NIEDRIGERE BETRIEBSKOSTEN UND 40 PROZENT GERINGERE INVESTITIONSAUSGABEN. „FLEXIBILITÄT“ HEISST DER WERTSCHÖPFUNGSFAKTOR NR. 1 DES 21. JAHRHUNDERTS.
Herausforderung Urbanisierung
SCHNELL. EFFIZIENT.
GÜNSTIG.
Bauen nach dem LEGO-Prinzip
Nach Einschätzung von Immobilienverbänden müssen in Deutschland bis 2021 pro Jahr 350 000 bis 400 000 neue Wohnungen entstehen, davon rund 80 000 Sozialwohnungen. Aber wie soll das zusammenpassen: bezahlbare Mietwohnungen und deutsche Bauvorschriften? Zumindest in Bezug auf die Baukosten könnten standardisierte Gebäude in Modulbauweise in Zukunft eine Lösung sein.
Die modulare Bauweise kann man mit dem Zusammenstecken von LEGO-Bauklötzen vergleichen: Die Fassadenteile werden - inklusive Fenstern und Dämmung - industriell in Serie vorgefertigt und direkt an der Baustelle in einen Rahmen aus Stahl, Holz oder Stahlbeton eingefügt. Es ist sogar möglich, ganze Wohneinheiten - auf Wunsch inklusive Bad, Küche und sogar Möbeln - wie Bauklötze mit dem Kran aufzustapeln.
Die Idee des Modulbaus ist nicht neu. Schon da Vinci entwarf um 1494 das erste aus vorgefertigten Bauteilen zusammengesetzte Haus. In den 1920er Jahren entwickelten Walter Gropius und Konrad Wachsmann - zu- nächst unabhängig voneinander und später gemeinsam - die Fertigbauweise, wie wir sie heute kennen. Erstmals realisierte Gropius 1927 den Grundtyp eines Hauses mittels vorproduzierter Bauelemente mit der legendären Weißenhofsiedlung in Stuttgart.
Effizient, aber kritisch beäugt
Heute sind die industrielle Vorfertigung und die Transportierbarkeit der Baukörper wichtige Parameter der Modulbauweise. Die automatisierte Herstellung in höheren Stückzahlen und die schnelle „Installierbarkeit“ auf der Baustelle sparen enorm Zeit und Kosten. Doch der Modulbau des 21. Jahrhunderts kann noch mehr. Da die industriell gefertigten Bauteile heute in automatisierten und lückenlos qualitätsüberwachten Prozessen hergestellt werden, sinkt die Fehlerquote gegenüber der herkömmlichen Bauweise umrund 90 Prozent. Aufwendige Nachbesserungen oder Nachforderungen entfallen. Für Bauherren bedeutet dies eine nie dagewesene Kosten- und Planungssicherheit.
Umso paradoxer mutet der Staus quo an. Obwohl die modulare Architektur von Beginn an zu den Wegbereitern des Baukastenprinzips zählte und sich dessen Vorteile durch digitalisierte Prozesse potenziert haben, hat sich das Lego-Prinzip hierzulande noch nicht auf breiter Front durchgesetzt. Die derzeitige Bauindustrie in Deutschland ist immer noch vorwiegend traditionell strukturiert. Dabei sind unkonventionelle Lösungen nötig, um bezahlbaren Wohnraum in den deutschen
Städten zu schaffen.
Vonovia und Howoge: Modulare Aufstockung
Mit der Modulbauweise können sogar die Flachdächer von Supermärkten und Parkhäusern schnell und unkompliziert als „Grundstücke“ für die städtebauliche Nachverdichtung genutzt werden. Zu den wenigen Wohnungsbauträgern, die das serielle Bauen gerade sehr erfolgreich zum Geschäftsmodell ausweiten, gehören die Howoge und die Vonovia SE. 2017 hat die Vonovia ein Investitionsprogramm in Höhe von rund einer Milliarde Euro für Neubau, Bestandsverbesserung und Aufstockung in den Quartieren des Unternehmens in ganz Deutschland beschlossen.
In Aufstockung investiert Vonovia besonders in zentralen Citylagen. Dabei wird das Dachgeschoss des Gebäudes entfernt und die letzte Geschossdecke vorbereitet. Ein Schwerlasttransporter fährt dann auf die Baustelle und hievt mit dem Kran die vorgefertigten Bauteile passgenau darauf. Dann kann es sofort mit Ausbau und Haustechnik weitergehen. Die unteren Stockwerke bleiben während der Bauphase bewohnbar. Die erste modulare Wohnanlage im Rhein-Main-Gebiet hat Vonovia in nur 2 Monaten Bauzeit im März 2018 fertiggestellt. Die Baukosten lägen bei rund 1.800 Euro pro Quadratmeter gegenüber 2.500 Euro bei konventioneller Bauweise, ließ Vonovia verlautbaren, die durchdchnittlichen Mieten bei rund 11 bis 11,50 Euro pro Quadratmeter.
Rahmenvereinbarung über serielles Bauen
Dass modulares Bauen noch günstiger und außerdem ökologischer und optisch attraktiver sein kann, will Werner Sobek mit der 2014 gegründeten AH Aktiv-Haus GmbH zeigen. Der international renommierte Architekt gilt weltweit als Vorreiter des ressourcenschonenden Bauens der Zukunft. Sobek hat gemeinsam mit dem Dübelhersteller Fischer Wohnmodule für den Geschosswohnungsbau konzipiert, die nur 1.380 Euro pro Quadratmeter kosten. Die Bauteile der Serie bestehen aus nachwachsenden Rohstoffen und können im Stecksystem wiederverwendet werden.
Mit dem Konzept der Serie 700 hat die AH Aktiv-Haus GmbH im Mai 2018 den zweiten Platz im vom GdW initiierten Wettbewerb „Serielles Bauen“ gewonnen. Aus 50 Bewerbern erhielten außerdem acht weitere Unternehmen den finalen Zuschlag, darunter Lechner Immobilien (Frankfurt), Max Bögl Modul (Neumarkt), Goldbeck OST (Ludwigsfelde) und Lukas Lang Building Technologies (Wien). Im Anschluss unterzeichneten der GdW, das Bundesbauministerium, der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie und die Bundesarchitektenkammer eine „Rahmenvereinbarung zum seriellen Bauen“ mit dem Ziel der Beschleunigung des Wohnbaus in Deutschland.
Architekten und Baufirmen stärker im Team
Konkret bietet diese Rahmenvereinbarung den Mitgliedsunternehmen des GdW die Möglichkeit, in Zukunft aus neun „zukunftsweisenden Konzepten für schnellen, kostengünstigen Wohnungsbau in hoher Qualität und ansprechender Optik“ auszuwählen. Die Ergebnisse des Wettbewerbs zeigten, so die Präsidentin der Bundesarchitektenkammer Barbara Ettinger-Brinckmann, dass anspruchsvolle Architektur und serielles Bauen sich nicht zwingend ausschlössen.
Alle Beteiligten hoffen auf eine Entschärfung der Debatte um das Hochziehen seelenloser Plattenbauten. Gerade bei den Architekten sitzt die Angst vor vorgeschriebener Massengestaltung tief. Daher wird die Rahmenvereinbarung auch als wichtiger Schritt in Richtung einer engeren partnerschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Architekten und Baufirmen gesehen. Reale Prototypen sollen möglichst rasch realisiert werden, um das Vertrauen in das Verfahren zu stärken.
Jetzt ist die Politik am Zug
Zwei Hemmschuhe für schnelles und kostengünstiges Bauen sind mit dem LEGO-Prinzip allerdings noch nicht beseitigt: der Mangel an Baugrundstücken und die langwierigen Baugenehmigungen der Länder und Kommunen. Da jedes Bundesland seine eigene Bauordnunghat, muss ein modulares, mehrstöckiges Wohngebäude, das in Hessen hochgezogen wird, vor dem Bau in Bayern erneut geprüft werden. Anders als in der Automobilindustrie, in der ein einmal geprüftes und genehmigtes Auto landesweit produziert werden darf, fangen die Bauämter immer wieder von vorne an. Die Wohnungswirtschaft habe geliefert, so Axel Gedaschko, Präsident des GdW. „Jetzt sind die Kommunen und Länder in der Verantwortung. Wir brauchen Grundstücke und eine Typenbaugenehmigung. Ansonsten drohen lange Verfahren die innovativen Bauvorhaben auszubremsen.“
Herausforderung Mobilität + Demografischer Wandel
KLEIN. KLUG. MODULAR.
LEGO-Flats für neue Lebensstile
Auch in der Wohnungs- und Grundrissgestaltung bringt Modularität nach dem LEGO-Prinzip allmählich Bewegung in die Immobilienbranche: LEGO-Flats mit in Clustern angeordneten, flexiblen Grundrissen sind eine kluge, kleinteilige Antwort auf die Herausforderungen sich aufsplitternder Lebensstile und des demografischen Wandels, der Deutschland wie kein zweites Land betrifft.
Aus einer aktuellen Studie im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung geht hervor: Von den 1,9 Millionen fehlenden bezahlbaren Wohnungen in deutschen Groß-städten entfallen 1,4 Millionen auf Apartments unter 45 m2 für einkommensschwächere Einpersonenhaushalte. Nicht nur in Berlin leben mehr als die Hälfte der Einwohner allein. Auch in Leipzig, Hannover, München und Düsseldorf liegt der Anteil an Einpersonenhaushalten längst bei über 50 Prozent. Diese werden nicht nur von jungen Alleinverdienern, Studenten und Trennungs-Singles bewohnt. Vor allem Menschen im Alter ab 65 Jahren leben zunehmend alleine.
Der generelle Anstieg an Single- und Seniorenhaushalten führt zusammen mit der Pluralisierung der Lebensstile zu neuen Nachfragestrukturen. Schon jetzt ist Zweit- und Drittverwendungsfähigkeit in urbanen Ballungsgebieten ein relevanter Wettbewerbsvorteil. Gebäude, deren Grundrisse relativ flexibel angepasst werden können, werden Eigentümern künftig klare Benefits bieten. Raum für ganz
unterschiedliche Lebens- und Wohnformen bieten LEGO-Flats - in Clustergrundrissen angeordnete, standardisierte Wohneinheiten.
Was sind LEGO-Flats?
Man kann von LEGO-Flats als Prototyp des Wohnungszuschnitts für immer mobilere, flexiblere Mietergruppen sprechen. Mit ihrer Größe von 20 bis 45 qm können sie einzeln als Mikro-Apartments konzipiert werden, sind jedoch leicht modifizierbar, so dass mit ihnen kosteneffizient auf unterschiedliche Wohnbedarfe reagiert werden kann. Mit ihren auf einem flächenoptimierten Modulraster basierenden Grundrissen lassen sich LEGO-Flats wie Bauklötze kombinieren und variieren. In puncto Gestaltung bieten sie somit alle Freiheiten, die unterschiedlichsten Konfigurationen sind denkbar: Single-Wohnungen, größere Apartments für Paare, Familienwohnungen, Studentenwohnungen.
LEGO-Flats mit „ready plus“-Standard
2.600 LEGO-Flats entstehen zum Beispiel bis Ende 2019 in ganz Deutschland speziell für Studenten und Azubis. Bauherren sind Studierendenwerke, Wohnungsbaugesellschaften und kleine private Investoren, gefördert werden die als „Variowohnungen“ betitelten Wohneinheiten mit 35 Millionen Euro vom Bundesbauministerium im Rahmen der Forschungsinitiative Zukunft Bau. Die Mietkosten für die Ein-Zimmer-Apartments dürfen 300 Euro nicht übersteigen, so die Vorgabe. Der Clou: Die LEGO-Flats haben „ready plus“-Standard, das heißt, sie können in einigen Jahren zu barrierefreien Seniorenwohnungen umgebaut werden. Schnell, mit möglichst geringen Kosten und natürlich mit anspruchsvoller Architektur und Raumgestaltung.
Die Vorteile von Legoflats
• Schnelle, kostengünstige Schaffung von Single-Wohnungen in Großstädten
• Flexibel anpassbar an neue Mietermärkte und Wohnkonzepte
• Modifizierbares Wohnen gemäß Lebenssituation
• Kreative Quartiergestaltung mit unterschiedlichen Wohnkonzepten
• Einfache Zusammenschaltung zu Serviced Apartments, Boardinghouses, Business-WGs, Studentenapartments
Der Abschied vom starren Grundriss
Diese eingebaute Multifunktionalität von Kleinstwohnungen hat Zukunft. Derzeit wird in allen größeren deutschen Städten bezahlbarer Wohnraum für junge Leute dringend gebraucht. Der Bedarf an Seniorenwohnungen wird aber durch den demografischen Wandel zunehmend steigen. Nach einer Studie des Instituts für Bauforschung werden bis zum Jahr 2025 allein zwei Millionen Wohnungen für 70plus-Senioren gebraucht.
Durch die Rasterung in Modul-Grundrisse werden Gebäude oder auch Mehrgenerationenquartiere so schnell und einfach wie nie zuvor an marktaffine Wohnformen anpassbar. „Zusammengesteckt“ mit Gemeinschaftsräumen, sind LEGO-Flats auch ideal für temporäre Wohnkonzepte wie Corporate Housing, Serviced Apartments, Boarding Houses oder Business-WGs. Eine solche Flexibilität können großformatige Raummodule nur schwer leisten. Modulare Grundrisse geben Eigentümern und Vermietern den Schlüssel zu ganz neuen Geschäftsmodellen und Renditemöglichkeiten an die Hand.
Modulare Quartiersgestaltung
Wie die Quartiersgestaltung der Zukunft aussehen könnte, zeigt das Projekt Essen 51. Auf ca. 52 Hektar errichtet die Thelen Gruppe hier eine wegweisende gemischte Quartiersform mit 1.500 Wohnungen. Ein Grund-Cluster mit einer Größe von 400 m2 ermöglicht flexible Grundrissvarianten und Apartmentgrößen, die entsprechend der Nachfrage mitwachsen. Die modularen Wohneinheiten von XS- bis XL-Units im Quartier Essen 51. können sich mitverändern, wenn sich die Lebenssituation des Mieters ändert.
Herausforderung Digitalisierung
ZEITGEMÄß. SMART.
WERTSTEIGERND.
LEGO-Services für moderne Mieter
Wie können Wohnungsunternehmen mit digitalisierten Mieterservices langfristig stabile Erträge erwirtschaften?
Während die Grundrisse im Quartier Essen 51. gemäß LEGO-Prinzip effizienter wer-
den, wächst die Qualität des Wohnens durch Service-Bausteine für die Mieter: „Smarte“ Technologien, Sharing-Angebote für Autos und Fahrräder und gemeinschaftlich genutzte offene Wohnbereiche werden zur optionalen Nutzung angeboten. „Unser Anspruch ist generell, bezahlbaren Wohnraum in guter Qualität zu schaffen und mit zusätzlich wählbaren Leistungen und Services anzureichern“, so Wolfgang Thelen, Inhaber der Thelen Gruppe.
Kosten sparen mit integraler Planung
Dem LEGO-Prinzip folgen auch Gebäudeautomation und Energiekonzepte von Essen 51. „Der Fokus liegt darauf, Systeme modular und adaptiv zu gestalten, so dass die jeweils zukunftsfähigste und effizienteste Technologie installiert werden kann, ohne dass das Gesamtsystem erneuert werden muss“, erläutert Geschäftsführer Wolfgang Thelen. „Unser Ziel ist, innovativste Technik und Energiekonzepte vorausschauend zu integrieren und stufenweise umzusetzen.“ Zur ganzheitlichen Realisierung des Stadtquartiers hat die Thelen Gruppe die Engineering GmbH gegründet und ein eingespieltes 15-köpfiges Projektteam ins Haus geholt. So kann Essen 51. effizient und mit wenigen Schnittstellen entwickelt, geplant und gemanagt werden, was - auch auf lange Zukunft gesehen - Zeit und Kosten spart.
Seniorenfreundliche Gebäudeautomation
Einer der Produkt- und Systemlieferanten von Essen 51. ist Norman Sahl Poynor. Sein Unternehmen SV Gebäudeautomation mit Sitz in Weiterstadt ist spezialisiert auf modulare Smart Home-Systeme, die über die Smart Building-Software betrieben werden. Immobilienunternehmen können mithilfe digitaler Komponenten, Wohnumgebungen auf die Bedürfnisse ihrer Kunden ausrichten. Sahl Poynor gibt Auskunft über smarte Services im Projekt Essen 51. allgemein und über AAL-Lösungen für ältere Menschen im Speziellen.
Herr Sahl, Essen 51. steht für die zukunftsweisende Entwicklung eines „smarten Quartiers“. Was ist darunter zu verstehen?
Beim Projekt Essen 51. sitzen von Anfang an die beteiligten Architekten, Stadtplaner, Projektentwickler sowie die Produkt- und Systemlieferanten urbaner Technologien an einem Tisch. Das ist eine sehr seltene Chance: Wir können eine modular aufgebaute technische Ausstattung installieren, die sich an die unterschiedlichen Bedürfnisse der Mieter nach Wohnkomfort, Sicherheit, Nachhaltigkeit und Gesundheit individuell anpassen lässt.
Auf der Webseite von Essen 51. wird von einer „fortschrittlichen digitalen Infrastruktur“ gesprochen. Was beinhaltet diese?
Das Herzstück des Quartiers bilden ein übertragbares Smart City-Framework und eine Informations- und Kommunikationstechnik-Architektur. Sie sorgen dafür, dass die einzelnen Technologien im Quartier miteinander vernetzt und aufeinander abgestimmt werden - von Smart Home und Home Consumer Electronics über Smart Lightning, Mobility-on-Demand und Smart Energy Grids bis hin zur digitalen Kommunikation der Mieter untereinander und mit der Quartiersleitung.
Wie werden smarte Technologien den Alltag der älteren Bewohner erleichtern?
Bei den Einbauten werden bewusst technische Lösungen gewählt, die für ältere Nutzer leicht bedienbar sind und niedrigschwellig umgesetzt werden können. Dazu zählen beispielsweise die automatische Überwachung und Abschaltung des Herdes bei Nutzungsunterbrechung oder Abwesenheit, die Möglichkeit, die gesamte Beleuchtung, die Heizung und Elektrogeräte beim Verlassen der Wohnung mit einem einfachen Schaltbefehl auszuschalten. Bei einem Sturz können automatisch zusätzlich zum Arzt Nachbarn oder Verwandte benachrichtigt werden. Ein digitaler Home-Assistent wertet Vitaldaten aus und gibt Gesundheitshinweise.
Das LEGO-Prinzip kann Bauen kostengünstiger machen, Time-to-Market reduzieren, Wohnkonzepte flexibilisieren, die Qualität und Effizienz der Vermietung steigern und insgesamt zu einer höheren Marktadaptivität und Wertschöpfung in der Wohnungswirtschaft führen.
Bei einigen Marktteilnehmern wird das Smart Service-Konzept von Essen 51. nicht auf Begeisterung stoßen. Schließlich hatte die Immobilienbranche es bisher nicht
nötig, innovativ zu agieren. Das Bauen, Verkaufen, Vermieten und Betreiben von Wohnungen war immer ein wasserfestes Geschäftsmodell. Tatsächlich wirkt die deutsche Wohnungswirtschaft im Gesamtbild noch immer wie eine verwöhnte Diva, die sich ihr „Gefolge“ aussuchen kann.
Aber steigende Kundenindividualität, Digitalisierung und Kostendruck wirken langsam, aber stetig auch auf die deutsche Immobilienbranche. Nicht nur im Wohnungsbau ist ein allmählicher Wandel zu einer flexibleren, individuelleren Konzeption zu beobachten - auch die Rolle der Wohnungsbaugesellschaften entwickelt sich hin zu einem zentralen Anbieter von Services rund um die Wohnung. Denn mit der zunehmenden Digitalisierung der Welt steigen auch die Ansprüche der Mieter an technische Ausstattung und Dienstleistungen.
Mieter-Apps und Portale im Aufwind
Auffallend viele große Wohnungsgesellschaften bauen derzeit ihr Angebot an mieternahen Services kontinuierlich aus. Die LEG Immobilien AG etwa hat eigens zu diesem Zweck zwei eigenständige Gesellschaften gegründet, die den Mietern attraktive Multimedia-Angebote offerieren. Im Februar 2018 wurde eine CRM-Software eingeführt, mit der Mieter in einer App und auf dem Portal Nebenkostenabrechnungen, Mietanpassungen, Mahnungen oder andere Schreiben empfangen. Für die schnelle Reaktion auf Schadensmeldungen ist ein externer Dienstleister aus dem Kleinreparaturmanagement eingebunden. Gibt es einen Schaden, muss der Bewohner einfach eine Maske in der App ausfüllen, ein Foto schießen und hochladen, und sofort startet die Bearbeitung des Schadens.
„Nur zufriedene Mieter, geringe Leerstände und geringe Fluktuation bringen langfristig stabile Erträge“, so LEG-Chef Thomas Hegel. Digitalisierte Baukasten-Systeme geben Wohnungsunternehmen die Chance, innovative Service-Architekturen Schritt für Schritt in die bestehenden Prozesse zu integrieren und sich im Wettbewerb zukunftssicher zu positionieren.
Von Digitalisierung profitieren
Um Mieterservices wirtschaftlich bereitstellen zu können, werden Immobilienunternehmen in Zukunft sehr viel stärker modular denken müssen. Standardisierung nach dem LEGO-Prinzip ermöglicht gleichzeitig Skaleneffekte und die vom Mieter gewünschte Individualität. Hilfreich ist hier die Einbindung von externen digitalen Immobiliendienstleistern, sogenannten PropTechs. Im Rahmen von Kooperationen können Wohnungsunternehmen ohne große Streuverluste einen Baukasten an Serviceleistungen offerieren, ihr Angebot persönlich gestalten und gleichzeitig Kosten sparen.
Eine Studie von Ernst & Young und dem Zentralen Immobilien Ausschuss e.V. (ZIA) über den Einsatz digitaler Technologien in der Immobilienwirtschaft kommt jedoch zu dem Schluss, dass etablierte Immobilienunternehmen häufig noch Scheu vor digitalen Immobiliendienstleistern zeigten. „Warum nicht häufiger mit PropTechs kooperieren?“ fragt Christian Schulz-Wulkow, Managing Partner bei Ernst & Young Real Estate. „Es sind keinesfalls nur B2C-, sondern häufig auch B2B-Angebote, die von den PropTechs hervor- oder vorangebracht werden. Wer sich hier engagiert, kann als First Mover in seinem spezifischen Feld von den neuen Angeboten besonders profitieren.“
Fazit
Das LEGO-Prinzip, nach dem seit Jahren erfolgreich Autos, Maschinen und sonstige Produkte nach individuellen Kundenwünschen produziert werden, könnte jetzt auch die Wohnungswirtschaft in Bewegung bringen. Flexibilisierung und Modularisierung bieten entlang der gesamten Immobilienwertschöpfungskette nie dagewesene Chancen: die Beschleunigung des Mietwohnungsbau, Bezahlbarkeit trotz Individualität und Vielfalt, Mieterservices auf einem neuen Level, Kostensenkungen und eine nachhaltige Wertschöpfung. Ein Weg, der Mut und Innovationsfreude erfordert, der aber die deutsche Wohnungswirtschaft nicht nur sozialer und lebenswerter machen kann, sondern vor allem profitabler und zukunftsfähig.