Mit Cradle to Cradle zum Frontrunner
Cradle to Cradle wird im Neubau bereits angewandt. Ein Beispiel ist der Bürogebäudekomplex Pulse in Berlin. Welche Beispiele gibt es denn für die Sanierung im Bestand?
MARCEL OEZER:
Ein schönes Beispiel wie Sanierung nach Cradle to Cradle funktionieren kann, ist das C2C Lab in Berlin auf knapp 400 Quadratmetern. Man kann zuschauen, inwieweit so ein stark sanierungsbedürftiges Gewerbegebäude in ein hochwertiges kreislauffähiges Objekt zurückfindet. Dort wurden beispielsweise reversible Fliesen mit Naturstoffen verwendet. Es gibt Lehmputz, es wurden Trockenbauwände ohne PVC verbaut. Es gibt Plattenunterkonstruktionen mit Aluminium-Unterkonstruktion, die einfach sortenrein auch wieder getrennt werden können. Man hat sich Gedanken gemacht über die Materialien, die mit ihren Inhaltsstoffen eingesetzt werden. Ein Beispiel ist die PVC- und halogenfreie Verkabelung, weil man dort einfach sagt: Okay, was ich verbaue, muss zukunftsfähig sein. Deshalb möchte ich so gut wie möglich auf Schadstoffe, die perspektivisch vielleicht gar nicht mehr verwendet werden dürfen, verzichten. Es gibt Aufputzsysteme, um mehr Zugänglichkeit zur TGA zu gewährleisten… und, und, und.
Das sind alles Dinge, die man dort auch tatsächlich anfassen kann, und wo man sich informieren kann, wie es in der Sanierung funktioniert. Aber grundsätzlich hängt es extrem von der individuellen Situation ab. Welche Informationen liegen vor? Wie ist der Baustandard? Welche Materialkomposition finde ich? Gibt es eine Schadstoffuntersuchung? Wie sind die Fügetechniken vor Ort? Und da liegt eigentlich die größte Herausforderung, das heißt: die Identifikation des Status Quo. Das ist sehr individuell. Daraus dann eine Potenzialabschätzung machen zu können und daraus abgeleitet dann wirklich die möglichen Maßnahmen, die sich umsetzen lassen…
Wie erfolgt Rückbaubaure und materialgesunde Sanierung?
MARCEL OEZER:
Am Beispiel einer Planungsleistung im Bauprozess ist es so, dass wir von Anfang an gleich mit den Fragen starten. Ist diese Konstruktion oder ist dieses Tragwerk beispielsweise rückbaufähig? Wie sind die Fügetechniken? Welches Material wird verwendet? Ist das Material schon so optimiert, dass es sortenrein rückgeführt werden kann? Ist das Material dann auch recyclingfähig, also auch als Material wieder rückführbar in den Kreislauf?
Und all diese Fragen animieren dazu, anders über die Entscheidungen nachzudenken, die zur Entwicklung einer Konstruktion führen, die sich schlussendlich dann aus Produkten zusammenfügt. Ein wichtiger Punkt dabei ist, eben diese Transparenz zu schaffen. Und da hilft uns auch die Digitalisierung, ganz klar! Wir müssen es schaffen, diese neuen Indikatoren und die neuen Fragen in Planungsprozesse zu implementieren; und dann auch die Potenziale zu ermitteln und dadurch neue Lösungen zu generieren. Das ist so der grobe Rahmen, wie Kreislauffähigkeit auch tatsächlich in Gebäuden geführt werden kann.
Wird denn C2C als Alternative Bereits Wahrgenommen? Oder herrscht noch deutlicher Aufklärungsbedarf?
MARCEL OEZER:
Mein persönlicher Wunsch wäre natürlich, dass es noch weiter bekannt ist, aber ich spüre schon sehr, dass Cradle-to-Cradle jetzt langsam auch als Designprinzip in den unterschiedlichen Branchen ankommt. Die Bauwirtschaft muss sich damit zwangsläufig auseinandersetzen, weil sie diesen großen Impact verursacht. Und die Lösung kann nicht mehr durch dieses lineare Wirtschaften gefunden werden, sondern wir brauchen einen anderen Ansatz. Die EU hat ja durch ihren Green Deal und den Circle Economy Action Plan schon sehr stark das Thema Cradle-to-Cradle auf den Weg gebracht.
Und interessant ist jetzt, dass dieses Instrument in vielen Bereichen schon wirkt, sogar in der Finanzwelt. Da ist es natürlich besonders spannend, dass zum ersten Mal Nachhaltigkeit oder Umweltschutz nicht durch Restriktionen Einzug hält, sondern es wirklich darum geht, Chancen aufzuzeigen. Das heißt, Cradle-to-Cradle bietet die Chance, neue Businessmodelle zu entwickeln. Cradle-to-Cradle bietet die Chance, die Produkte besser zu machen und so beispielsweise auch wieder als Frontrunner auf dem Markt gesehen zu werden. Und Cradle-to-Cradle kann die Antwort auf zukünftige Anforderungen sein, die zum Beispiel in der
Risikobewertung von Banken bei Investoren aufschlägt, weil eben ein Gebäude kein Abfall mehr verursacht und Kosten erzeugt, sondern eher als Rohstoff Depot fungiert.
Ein kritischer Aspekt ist dennoch vorhanden: abbaubare Rohstoffe einzusetzen kann zwar aus Umweltschutzgründen sehr wohl sinnvoll sein. Allerdings sollte das nur in Maßen und mit Einschränkungen geschehen, weil auch natürliche Rohstoffe gewisse Umwelteffekte hervorrufen, beispielsweise Ressourcenkonflikte, wenn zum Beispiel die Maisstärke für das C2C-Computer-Gehäuse auf dem Nahrungsmittelmarkt fehlt.
MARCEL OEZER:
Man sollte hier vermeiden in Konkurrenz zu treten. Aber wir müssen es ja eben deshalb schaffen, dass Materialien aus dem biologischen Kreislauf – ob es Maisstärke ist oder Holz – auch wieder in den biologischen Kreislauf als Nährstoffe zurückgeführt werden können, sodass wir eben wieder zurückgeben, was wir entnehmen. Es gibt nach unserem Verständnis erst einmal nicht per se gute oder schlechte Materialien, sondern es geht immer ums Design. Wenn sie richtig designt sind, können Materialien in unendlichen Kreisläufen ohne Qualitätsverlust zirkulieren; das heißt Ressourcen, die aus nicht erneuerbaren Quellen stammen, beispielsweise Metalle. Somit belaste ich nicht weiter die Natur, indem ich mehr und mehr Rohstoffe entnehme. Das ist natürlich eine schwierige Aufgabe, aber es gibt Lösungsansätze dann auch den biologischen Kreislauf wieder zu unterstützen, um nicht in den Konflikt des Nahrungsmittelmarkts zu geraten.