Nachhaltige Ansätze liegen im Trend. Ökologische und soziale Fragen sind zu einer politischen Priorität geworden und machen auch vor der Real-Estate-Industrie keinen Halt. In diesem Zusammenhang taucht der Begriff ESG immer wieder auf. Anders als zu Beginn vermutet, betreffen ESG-Regularien nicht nur den Kapitalmarkt, sondern greifen auch massiv in die Prozesse der Immobilienbranche ein. Aber wie?
ESG – Environment, Social, Governance
Während der Pandemie ist es um die Fridays-for-Future-Bewegung still geworden. Und auch regelmäßige Klimastreiks blieben weitestgehend aus. Spätestens im Rahmen des Wahlkampfes 2021 meldeten sich die Themen Klimaschutz und Nachhaltigkeit allerdings wieder zurück. Und das mit einer Wucht, die für Diskussionen sorgt. Mit dem angepassten Klimaschutzgesetz 2021 ist es amtlich: Treibhausgasneutralität bis 2045 und nicht – wie noch einige Monate zuvor beschlossen – bis 2050. Bereits 2030 sollen die Emissionen um 65 Prozent gegenüber 1990 gesenkt werden.
Mehr Nachhaltigkeit in der Finanzwirtschaft
In Hinblick auf die Risiken des Klimawandels reagiert die EU mit dem „Green Deal“ und dem Aktionsplan „Sustainable Finance”. Damit wird ein völlig neuer Rechtsrahmen für die Nachhaltigkeit der Wirtschaft geschaffen. Der Fokus liegt jedoch nicht ausschließlich auf Umweltaspekten, sondern denkt unternehmerische Verantwortung (Corporate Social Responsibility) weiter. Die Ausfuhrbestimmungen oder auch ESG-Kriterien – “Environmental” (Umwelt), “Social” (Soziales), “Governance” (Unternehmensführung) – setzen nachhaltiges Handeln in den Fokus unter der Berücksichtigung von Klimawandel oder Umweltverschmutzung ebenso wie von sozialem Engagement, Compliance und Anlegerschutz.
Hiervon betroffen ist nicht nur die Finanzwirtschaft, sondern auch die Realwirtschaft auf Unternehmens- und Produktebene. Die Immobilienbranche ist einer der wesentlichen CO2-Emittenten. Dementsprechend werden Forderungen nach Anpassungen der Geschäftsmodelle von Immobilienunternehmen laut. Diskussionen über nachhaltiges Bauen und Mietstundungen während der COVID-19-Pandemie machen deutlich: Mieter, Investoren, Öffentlichkeit und Politik beeinflussen maßgeblich die Geschäftsaktivitäten der Branche.
Sustainable Finance
Doch wie misst man die Nachhaltigkeit von Immobilieninvestments? Diese Frage stellte sich auch die Europäische Kommission. Denn bisher war unklar, welche Geldanlage klimafreundlich ist. Inzwischen wurde der finale delegierte Rechtsakt veröffentlicht, der Details für die sogenannte EU-Taxonomie regelt. Konkret geht es darum zu definieren, welche wirtschaftlichen Aktivitäten "substanzielle positive Auswirkungen auf das Klima und die Umwelt" haben. Betroffen ist unter anderem der Bereich erneuerbare Energien sowie der Gebäudebereich.
Am 10.03.2021 ist im ersten Schritt die Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR) – auch "Offenlegungsverordnung" – im Rahmen der ESG-Regulierung der Europäischen Union in Kraft getreten. Mit diesem Tag müssen Nachhaltigkeitskriterien auch von Unternehmen der Immobilienbranche dokumentiert werden. Das ESG-Reporting wird unter anderem für Immobilienfondsmanager verpflichtend. In Verkaufsprospekten, Jahresberichten und auf der Website der Kapitalverwaltungsgesellschaft sind Informationen zur Nachhaltigkeit anzugeben.
Ziel ist es, den Anlegern transparente Informationen zur Verfügung zu stellen. So können sich diese bereits vor der Anlageentscheidung einen Eindruck davon machen, wie sich die Investition auf Klima, Soziales und Unternehmensführung auswirkt. Zudem sollen Anleger vor vorzeitigem Wertverlust und Wertverfall der Anlage geschützt werden.
Und wie betrifft mich ESG?
Gute Frage. Neben den Immobilienfondsmanagern gibt es ein Ökosystem an Beteiligten, welche die Immobilien-Wertschöpfungskette bilden. Hierzu zählen Investoren, Finanziers, Partner wie Property und Facility Manager sowie externe Anbieter von Immobilienprodukten wie Projektentwickler und Lieferanten von Baumaterialien. Obwohl sich die SFDR direkt auf die Immobilienmanager auswirkt, müssen Berichterstattung und Transparenz in Bezug auf die Nachhaltigkeit entlang der gesamten Wertschöpfungskette erreicht werden.
Fonds- und Vermögensverwalter sind angehalten eng mit den operativen Teilnehmern der Wertschöpfungskette zu interagieren, um die Herausforderungen der Datenerfassung und die Nachhaltigkeitsmessung zu bewältigen. Wie bereits erwähnt, ist die Immobilienbranche einer der wesentlichen CO2-Emittenten. Ein Indikator ist der durch Immobilienanlagen verursachte Einsatz fossiler Brennstoffe. Der zweite Indikator misst das Engagement für Investitionen in energieeffiziente Immobilienanlagen.
Wem es Gelingt, ESG in allen Bereichen der Unternehmens-DNA zu verankern, wird von kunden Glaubwürdig als ESG Asset Manager wahrgenommen.Martin Weirich, Partner AWM Consulting,
ESG AWM Consulting Lead bei PwC Deutschland
ESG-Anforderungen
Wirtschaftliches Handeln ist mit ESG ab sofort nicht mehr ohne Gedanken an die Umwelt möglich. Mindestens eines von sechs Umweltzielen (Siehe Grafik 1,1) muss dabei ins Auge gefasst werden und darf die anderen
dabei nicht erheblich beeinträchtigen.
Für den Immobiliensektor sind vier Bereiche wirtschaftlicher Tätigkeit relevant:
• Neubauten
• Sanierung und grundlegende Renovierung
• Spezifische Einzelmaßnahmen an Gebäuden
• Akquisition und Eigentümerschaft von Gebäuden
Wie so vieles im Leben ist auch diese Entwicklung ein zweischneidiges Schwert. Natürlich, zu Beginn mag ESG wie ein politischer Eingriff in die wirtschaftlichen Tätigkeiten klingen. Doch die Regelungen bieten auch Chancen für die Immobilienwelt, zum Beispiel zur Produktdifferenzierung – nicht nur in Bezug auf den Umweltaspekt, sondern auch auf die sozialen Auswirkungen von Immobilienprojekten auf die Menschen. Immobilienunternehmen, die Sustainable Finance und ESG fest in ihrer Geschäftstätigkeit verankern, tragen zum Klima- und Umweltschutz bei und können gleichzeitig ihren Unternehmenserfolg verbessern. Entscheidender Wettbewerbsvorteil ist, dass sie Anlagerisiken reduzieren und Erträge verbessern. Rekordzuflüsse bei nachhaltigen Fonds bestätigen diese Einschätzung.
1 Ab 2021 errichtete Neubauten:
Der Primärenergiebedarf muss zehn Prozent unter den nationalen Anforderungen für ein Niedrigstenergiegebäude liegen. Luftdichtheitsprüfung und in der Regel Thermografie für Gebäude mit einer Nutzfläche über 5.000 m2 je Nutzeinheit. Über Abweichungen oder Mängel müssen Investoren und Kunden informiert werden. Auf Anfrage auch über das Treibhauspotenzial der Gebäude.
2 Sanierung und grundlegende Renovierung:
Sanierungen müssen eine Energieersparnis von mindestens 30 Prozent erreichen oder konform sein mit der nationalen Umsetzung der EU-Gebäuderichtlinie, in Deutschland also dem Gebäudeenergiegesetz.
3 Spezifische Einzelmaßnahmen:
Taxonomiekonforme Maßnahmen laut Verordnung, darunter Photovoltaikanlagen, Windräder, Verbesserung der Außendämmung oder Ladestationen für Elektrofahrzeuge.
4 Akquisition und Eigentümerschaft:
Gebäude, die bis Ende 2020 errichtet wurden, müssen über ein EPC-Rating der Klasse A verfügen. Andernfalls muss eine Immobilie beim Primärenergiebedarf zu den nachweislich besten 15 Prozent eines Landes oder einer Region gehören. Zudem können für große Nichtwohngebäude Prüf- und Dokumentationspflichten von Heizungs-, Luft- und Klimatechnik hinzukommen.
Die womöglich größte Herausforderung ist die Implementierung der regulatorischen Anforderungen auf EU- und Länderebene. Aber auch das Datenmanagement, welches für eine erhöhte Transparenz bezüglich Nachhaltigkeit sorgen soll, stellt eine Hürde dar. Laut der EY Real Estate Asset-Management-Studie 2020 sieht sich die Hälfte der befragten Unternehmen noch am Beginn der Umsetzung der Digitalisierung. Zudem gilt es, Nachhaltigkeit mit anderen Unternehmensbereichen zu verbinden. Das erfordert eine teils immense Umstrukturierung von Unternehmensprozessen.
Datentransparenz lautet das Stichwort. Digitale und physische Prozesse verschmelzen im Idealfall und Entscheidungsfindungsprozesse werden durch agiles Handeln in Unternehmen optimiert. Grundlage ist die Sammlung, Harmonisierung und Anreicherung durch branchenspezifische Standards. Digitale Prozesse und Systeme verarbeiten die Daten und runden so das Datenmanagement ab.
Die Dynamik, die rund um das Thema Nachhaltigkeit entstanden ist, fordert die Branche zum Handeln auf. Nachhaltiges Bauen und nachhaltige Immobilien sind keine neuen Themen, stellen aber derzeit einige Unternehmen vor große Herausforderungen. Unternehmen mit hoher strategischer Resilienz verfügen über klare Vorteile gegenüber jenen, die sich nicht mit Krisenmanagement auseinandergesetzt haben. Ein verändertes Klima schafft neue Anforderungen an die Immobilienwirtschaft.
Wer sich bereits heute mit den passenden Lösungen auseinandersetzt, wird zukünftig davon profitieren.
ESG IST AUF DEM BESTEN WEG, DAS NÄCHSTE UNICORN ZU WERDEN.
Jens Müller, Geschäftsführer Building Minds